KERNVOLL – ESSEN IST POLITISCH

Kernvoll, Veganes Catering and Fashion
Berlin, Deutschland

„Sag doch mal ehrlich: Lebst Du wirklich vegan?” Christian erzählt davon, wie seine Erscheinung immer wieder für Verwirrung und Verwunderung sorgt. Christian ist ein Hüne von einem Mann. Das karierte Hemd, die eng anliegende, kobaltblaue Weste, zeichnen einen hochgewachsenen, kräftigen Körper. Seine großen, markanten Hände bauen, präzise gestikulierend, seine Worte nach. Als er erzählt, dass er Kampfsport macht, überrascht es nicht. Jeder hat seine Vorurteile und Schubladen im Kopf. In die medial-gesellschaftlich vorgefertigte Schublade des mageren, kleinen Veganers passt Christian nicht.

Wir sitzen bei Kernvoll im Café, in der Küche, im Showroom – im Raum ohne Tresen. Die Location verwehrt sich einer klaren Definition. Das hat Strategie. Man will die Fläche offen halten, den Kellner zum Teil der Anwesenden machen. So entsteht Kommunikation.

Das Café ist eine Art Schaufenster für das Catering. Brunches finden bei Kernvoll zwei Mal im Monat statt, so zum Beispiel sonntags der Yoga-Brunch. Auf der Kernvoll Website findet man Angebote, Räume und Termine. Im Café kann man das Essen probieren, das man später als Catering bucht. Das Catering ist geschmacklich und ästhetisch sehr hochwertig, mit Wow-Effekt, nebenbei bio und vegan. Wir reden hier über Essen, tatsächlich aber über Politik. Mindestens sprechen wir über Haltung.

Christian und Manu, beide Politologen, sind zwei der vier Gründer von Kernvoll.
Manu formuliert fein und präzise, ist einnehmend eloquent. Mit dem Kochen ist sie groß geworden. Als Autodidaktin macht sie für Kernvoll das, was ihr schon immer Spaß gemacht hat. Mit 9 oder 10 hat sie angefangen, für ihre Eltern zu kochen, vieles ausprobiert. Beim Kochen kreativ zu werden, das ist es, was ihr richtig Freude macht. Manu und Christian haben mit wachsendem Bewusstsein vor drei Jahren begonnen, sich vegan zu ernähren. Der Umstieg zur veganen Küche ist für Manu eine Herausforderung – und ihre Augen funkeln, wenn sie darüber spricht. Kochen ist etwas Sinnliches, hat mit den Händen zu tun, mit Probieren, Schmecken. Es ist etwas ganz anderes, als ihr voriges Leben, das eher von Theorie geprägt war.

Beide kommen, was ihre Arbeit betrifft, aus dem politischen Umfeld. Christian bildet sich als veganer Ernährungsberater fort. Irgendwann hatten sie das Gefühl, dass sich die Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen einer politischen Organisation erschöpfen. Unumgänglich die Frage: Ist das jetzt schon alles?

Aus dem persönlichen Bedürfnis heraus

Kernvoll, veganes Catering und organic Tailoring, ist aus dem persönlichen Bedürfnis heraus entstanden, im Leben etwas zu machen, bei dem man die Sinnfragen aus anderer Perspektive beantwortet bekommt.

Manu und Christian empfanden ihr Leben als ungesunden Stress, pflegten keinen guten Umgang mit sich selbst. Die Frage, die sich die Gründer lange vor einer Geschäftsidee stellten: Wie kann ich achtsamer mit mir selbst und meinem Leben umgehen? Und: Kann man diesen achtsamen Umgang zur Haupttätigkeit machen?
Der Name „Kernvoll” weist auf diesen achtsamen Kern hin, auf das Innere. Alle Angebote bauen hierum auf. Aus einem selbstbewussten Kern heraus werden die Fragen gestellt: Wie gehen wir miteinander um? Wie beeinflussen wir unsere Umwelt? Wie essen wir? Wie kleiden wir uns?

„In der Teilen der politischen Linke herrscht die Meinung vor, dass das ‚Was kann ich persönlich tun‘ mit einem ‚Das reicht doch ohnehin nicht‘ abgetan wird. Die Handlungsebene wird dann immer nach oben und an das System abgeschoben“, sagt Christian und betont die zwei Vorteile, die die vegane Bewegung für ihn hat. Wieder formen seine Hände die Argumente in der Luft und bringen sie mit Wucht auf den Tisch.

Erstens: Die vegane Bewegung ist international ausgerichtet.

Zweitens: Sie nagt an den Grundfesten der kapitalistischen Verwertungslogik. Sie kritisiert die Lebensmittelindustrie, Massentierhaltung, die Ausbeutung von Futtermitteln, etc.

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Essen ist politisch: „Ich kann drei Mal am Tag darüber entscheiden, ob ich das System unterstütze oder nicht.“ Dieser Einfluss ist direkt, der Wandel stetig. Der Wunsch, etwas bewirken zu können, ist im Raum greifbar, die Energie dieses Antriebs spürbar. „Wenn Deutschland Waffen nach Saudi-Arabien liefert, dann kann ich bei der nächsten Wahl mein Kreuzchen bei der Partei machen, die das nicht mitmachen würde, aber die hat nur wenige Prozent. Das bringt keine Veränderung.” Die Frage ‘Unterstütze ich das System oder nicht.‘ stellt sich beim Essen, wie beim Kleiden: Ob für mein Essen die Umwelt belastet wird und Tiere gequält werden. Ob meine Kleider in Bangladesh von Kindern hergestellt werden – oder eben nicht. Kernvoll versteht sich als Teil von etwas Größerem, will mitwirken an der veganen Bewegung. „Es gibt viele Themen, die uns berühren”, sagt Manu.

Die Frage ‘Unterstütze ich das System oder nicht.‘ stellt sich beim Essen, wie beim Kleiden.

Die Herausforderung:
Wie kannst Du in der Bewegung wirken
und trotzdem davon leben?

Für Kernvoll ist das die Schlüsselfrage. Als Teil der Bewegung, helfen, die Bewegung groß zu machen. Demütig bleiben und die Bewegung gemeinsam voranbringen, sich austauschen, voneinander lernen, sich gegenseitig befruchten.
Versuchen, innerhalb des Systems die Rahmenbedingungen nutzen, um möglichst Gutes zu tun. „Statt abzugreifen und auf Kosten anderer zu leben.” Eine Definition von Erfolg, in der es darum geht, Leute gut zu behandeln, gute Arbeitsbedingungen zu schaffen, und dennoch mit dem Unternehmen zu wirken.

„Die Wirtschaft muss den Leuten dienen und nicht andersrum.”

“Wir mit Kernvoll müssen uns die Frage stellen, wie wir mit unserem individuellen Handeln Druck auf das System ausüben, um Dinge zu verbessern.” Dabei ist Wirtschaft Politik und Politik Wirtschaft. Die Unterscheidung entfällt. “Wir sehen ja, wie sich die Supermärkte verändern. Das ist ein politischer Prozess. Es geht darum, wer welche Macht hat. Und die Veränderung passiert. Stück für Stück.” sagt Manu. 
Die Entscheidung, Catering anzubieten, anstatt ein Restaurant zu eröffnen, ist aus der Sicht heraus entstanden, dass die vegane Nachfrage noch nicht so groß ist, um ein Restaurant in der Qualität von Kernvoll vollständig auszulasten. Das Catering bietet für sie die Chance, Arbeit planbar zu machen und in Firmen hineinzukommen, um dort den Nachhaltigkeits- und Ernährungsansatz in die Firmenphilosophie zu integrieren. Und: Beim Catering multipliziert der Auftraggeber die Reichweite der Botschaft.

Kernvoll schätzt den Mut ihrer Kunden. Diese übernehmen die Verantwortung, Gruppen von 100, manchmal 150 bis 250 Menschen, von denen der Großteil nicht vegan ist, ein veganes Angebot zu servieren.

Die Gerichte werden individuell auf den Auftraggeber zugeschnitten. Jetzt gilt es, die Hürde abzubauen, den Kunden zu bestärken und die kreative Herausforderung anzunehmen. Nämlich kulinarisch daran anknüpfen, was man von früher, von zu Hause her kennt – also in der veganen Interpretation nicht gänzlich etwas Neues entstehen zu lassen. Gerade bei veganen Hochzeiten gilt es, aus Respekt für das Brautpaar, nicht zu speziell zu werden und auch veganes Schnitzel und Gulasch anzubieten. Kernvoll ist stolz darauf, Hochzeiten komplett vegan anbieten zu können. Alle Leistungen rund um die Hochzeit sind vegan. Ein veganes, Bio-Hochzeitskleid ist ab 600 EUR möglich. Die Nachfrage steigt.

„Wir kommen mit einem Angebot, nicht mit der Belehrung. Auf die Frage des Gasts, ‘Welcher ist hier denn mit Fleisch?’ folgt bald die Erkenntnis, ‘Ach, das geht auch anders’. Die Gäste kommen mit einem rein pflanzlichen Angebot in Berührung, probieren aus.”

Bio bringt höhere Preise und damit höhere Erwartungen mit sich. Daher muss alles perfekt funktionieren. Bei den Caterings ist Christian immer präsent, dadurch entsteht ein Diskurs. Eine ablehnende Haltung, findet er, basiert in der Regel auf Unkenntnis. Dadurch dass das Thema omnipräsent ist, besteht ja bereits Interesse.

Dann setzt der Wandel ein. Ganz individuell.  

„Du musst auf keinen warten. Du musst auch keinen um Erlaubnis fragen. Du machst Deinen Kühlschrank leer und kaufst dir neue Sachen.”

Wer sich vegan ernährt, hat damit für sich, die Umwelt und die Tiere etwas Gutes getan.

Kernvoll versucht, so nachhaltig wie möglich zu sein. Zu den Veranstaltungen nehmen sie keine Mülltüte mit, da sie bemüht sind, vollständig auf Müll zu verzichten. Sie versuchen, Plastik ganz auszuklammern. Das Einweggeschirr ist 100 % biologisch abbaubar, die Becher aus Maisstärke. Ihr Wasser beziehen sie von Spreequell, aus einem 50 km Radius und von Viva con Agua, da das Projekt sozial ist. Bei der Kalkulation der Menge des Essens wird versucht, eine Punktlandung zu machen. Sollte etwas übrig bleiben, kommt es in Aufbewahrungdosen und wird mitgenommen. Was wegschmissen wird, sind schlichtweg die Reste, die Gäste auf ihrem Teller lassen sowie Papierservietten. Entlang der Hygienevorschriften wird versucht, so nachhaltig wie möglich handeln.

„Ohne das Zutun  der menschlichen Arbeitskraft, ohne die Leute vor Ort, gäbe es das Produkt nicht. Es ist wichtig, das nicht zu vergessen”, betont Christian.

Kernvoll verzichtet auch vollständig auf Frischhaltefolie und Alufolie. Da gibt es andere Möglichkeiten. Seit einem halben Jahr in der Location, haben sie noch eine Rolle Alufolie vom Vorbesitzer. Manu lacht. Sie wollen es weder wegschmeißen, noch nutzen.

Die Wertschätzung für Aushilfen und Mitarbeiter spielt für Kernvoll eine essentielle Rolle.  

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Kernvoll unterstützt den Kongress der Straßenkinder mit Catering zu Sonderpreisen und den in diesem Rahmen von den Jugendlichen initiierten Obdachlosen-Brunch.

„Aber das Entscheidendste bei allen sozialen Bindungen ist die Verlässlichkeit. Das hat bei uns einen  Riesenstellenwert.” Kernvoll möchte eine Verbindlichkeit herstellen, mit dem, was sie anbieten. Durch schnelles Antworten, Pünktlichkeit, Halten von Absprachen und zielorientiertem Problemsolving vor Ort. Mit diesem professionellen Anspruch gehen sie an alle Prozesse heran. Die Kunden schätzen das.

Auch bei der Zahlung versucht Kernvoll mit Haltung zu handeln. „Geld ist ein Ausdruck der Beziehung zueinander. Wenn wir etwas kaufen, bezahlen wir sofort”, sagt Christian. „Geld ist ein Prozessunterstützer. Wir sind alle davon abhängig, dass der Prozess läuft.” Dieses Bewusstsein brachte dem Team auch den neuen Zugang zur Kleidung. Ihre Recherche ergab: Es wird in Berlin keine modische, vegane Herrenkleidung angeboten.

Bio-Mode

Kernvoll arbeitet mit Biobaumwolle und achtet auf die Arbeitsbedingungen. Die Biobaumwolle entspricht in der Herstellung höchstmöglichen Standards, wird vegan hergestellt, hat das IVN Best Siegel und erhält auch das PETA-Siegel. Den Bauern werden feste Preise garantiert. Gewebt wird in Baden Württemberg und Tschechien, genäht in Berlin Weißensee, bei – laut Kernvoll-Recherche – der einzigen Näherei, die noch Arbeitsplätze vor Ort in Berlin hat. Das Design entsteht mit einer Designerin in Berlin Westend. „Wir können alles aus Biobaumwolle herstellen, was der Kunde möchte.”

Der Kern der Maßanfertigung ist die Weste. Westen sind vorproduziert vorhanden, von ihnen aus wird die Kleidung ausgerichtet. Man spürt Christians Leidenschaft, wenn es um Stil und Kontext geht. „Wir nehmen uns Zeit für die Beratung, auch die historisch-politische. Wie haben sich Kleidungsstücke auch angepasst, unter welchen Rahmenbedingungen.”

Bei Caterings tritt Kernvoll stets fein gekleidet auf, die Dame im schicken Kleid, die Herren in Anzügen. Motivation ist die Respektbekundung gegenüber den Kunden und Gästen.

Die Nachfrage wächst. Die Kluft zwischen veganem Essen und einem veganen Alltag ist aber auch bei Veganern noch groß. Zusätzlich bringt die nachhaltige Ausrichtung Herausforderungen mit sich. Nicht immer sind die gewünschten Zutaten vorhanden. Großgebinden kommen in der Dose, nicht im Glas, Großgebindenverpackungen in Plastik, Gurken in der Folienumverpackung. 

Kernvoll sieht sich als wichtiger Bestandteil, Änderungen herbeizuführen. Für die Zukunft ist die Zusammenarbeit mit Krankenkassen, KiTas und Schulen geplant. Kernvoll möchte mit Eltern und Erzieherinnen Workshops zur Ernährung machen. Um damit langfristig mehr frisches, veganes Bio-Essen in die Kantinen zu bringen.  Wenn es mal Rückschläge gibt: „Egal wie viele Schicksalsschläge ihr habt, ihr könnt selbst viel bewegen”, möchte Christian noch mitgeben und sieht dabei die Bewegung, das große Bild. „Gestaltungsmöglichkeiten gibt es immer. Es wird aber erst was draus, wenn in der Masse Druck erzeugt wird.” Ein Unternehmen auf Mission.

„Wenn wir kein anderes Lebewesen umbringen, dann macht das was mit uns. Mit dem, was wir bereit sind, zu akzeptieren. Wenn ich kein Tier umbringe, werde ich auch keinen Krieg akzeptieren.” Christian legt seine Hände auf den Tisch.

Die Botschaft:
Act now!

 

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28.02.2019
von Balázs Tarsoly

 

Kernvoll, Samaritersstraße 34, 10247 Berlin
www.kernvoll.de

Grünometer

Kernvoll

10 / 10

100 % veganes Angebot in Speise und Mode. Mode von PETA als vegan zertifiziert – Kernvoll darf das Logo „PETA approved“ verwenden.

Verwendung von Bioprodukten

Verwendung von Verpackungen aus kompostierbaren Rohstoffen, hohe Achtsamkeit bezüglich Müllvermeiung

Vermeidung von Lebensmittelverschwendung

Verwendung regionaler und saisonaler Produkte

Angebot von Viva con Agua und Spreequell

Verwendung von Öko-Strom

Verwendung von fair gehandelten Produkten

Faire Arbeitsbedingungen und Partnerschaften

Aufklärung in Ernährung, Gesundheit und Umweltschutz

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