DAS POTENZIAL IM SCHÖPFERISCHEN
MOMOS, Organic veggie dumplings
Berlin, Deutschland
Was fehlt, ist das Glas Bier, während Marc wie ein alter Freund am Tisch mit uns plaudert. Das Gefühl ist vertraut: Es ist spät geworden, weil man sich viel zu sagen hatte, und trotzdem ist es so, als hätte man sich eben erst zusammengesetzt. Marc wirkt locker, entspannt, wie jemand, der die Gedanken schon länger geordnet und seine Schlüsse gezogen hat. Seine Worte wählt er mit Bedacht. Auf keinen Fall will er den Moralapostel spielen. Ein guter Gesprächspartner urteilt nicht. Sein Anspruch beim Essen gilt zunächst nur ihm selbst.
Weiße Kacheln, hier und da leuchtendes Grün, mehr braucht es nicht. Das Momos, in dem wir sitzen, hat noch nicht geöffnet. Das Interieur ist schlicht, die einfache Holzvertäfelung der Wände macht den Raum warm. Hier ist mit Bedacht und mit Geschmack eingerichtet worden. Überdimensionale, silberne Lüftungsrohre an der Decke verleihen dem Restaurant einen leichten Industrial-Charakter, dabei bleibt es zeitgemäß, wir sind nicht in einem Vintageschuppen. Bier trinken wir nicht, sondern Wasser von Viva con Agua.
„Früher habe ich mir
nur das Billigste gekauft.”
„Früher habe ich mir nur das Billigste gekauft.” verrät Marc. Dann erzählt er von der Chance, selbst kreativ zu werden: Nur konsumieren ist unbefriedigend, weil man dabei passiv bleibt. „Konsumieren entkoppelt dich von den Dingen.” Die erste Stufe sei dabei das Selbstkochen, ein Gefühl für Lebensmittel entwickeln: Huch! Das Gemüse ist ja ganz hart! Warum ist es hart? Weil es nicht reif ist. Warum ist es nicht reif? Weil es nie reif wurde… Man beginnt, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen. Aus dem kreativen Schaffen entsteht ein eigener Antrieb, sich für das Thema Lebensmittel zu interessieren. Wo kommt was her, unter welchen Bedingungen ist es gewachsen. Die nächsten Schritte folgen automatisch. Eine gute Ernährung ist eine Frage des Wissensstands. Je mehr du weißt, umso bessere Entscheidungen kannst du treffen.
„Wenn du dauerhaft keine Muße zum Kochen hast, solltest du deinen Lebensumstand überdenken.” Marc lacht. Seine Augen lachen mit. Die harten Zeiten hat er hinter sich. Martin und er, die beiden Geschäftsführer von Momos, sind gute Freunde seit sie 18 sind, haben sich in Potsdam beim Skateboarden kennengelernt. Nach der Schule verschlug es sie nach Australien, getrennt voneinander, erst Marc, dann Martin, der dort 5 Jahre als Krankenpfleger arbeitete. Marc, der Wirtschaft mit Master in Umweltmanagement studiert hatte, landete unterdessen in Deutschland im technischen Vertrieb eines Großhandels. In den Freunden reifte der Gedanke, dass das nicht alles sein kann. Und die Idee, ein eigenes Restaurant zu betreiben, nahm Form an. Martin brachte das Gefühl für Zutaten und Geschmack mit, Marc die Affinität für Zahlen. Ein nepalesischer Studienkollege von Marc kochte immer Teigtaschen, sogenannte Momos. Momos? Ja, warum nicht Momos. Die beiden trafen sich in Kathmandu, Nepal und unternahmen eine zweieinhalbwöchige kulinarische Rundtour.
Inspiration
aus dem Himalaya
Momos sind Teigtaschen aus dem Himalaya, typisch für Tibet, Nepal und Nordindien. Der Teig lässt kreative Freiheit, da es sich mit allem befüllen lässt. Es ermöglicht, Neues zu probieren, sich von kultureller Bindung zu lösen, kulinarisch zu experimentieren. Die beiden Freunde erkennen das große Potenzial dieses kleinen Produkts. Auf dem Weg zurück von Nepal entschließen sie, das Abenteuer Gastronomie zu wagen, kündigen ihre Jobs und eröffnen ihr eigenes Restaurant. Sie nennen es Momos – organic veggie Dumplings.
Der erste Laden ist winzig, der Gastraum gerade mal 12 qm. Hier verbringen sie drei extrem arbeitsintensive Jahre, die lehrreich bleiben sollten. Die Gäste sind happy – die beiden zahlen das mit ihrer Freizeit. „5 % der Arbeit im Restaurant hat was mit Kochen zu tun.” Der Vibe ist super, der Aufwand supergroß. Der Umzug 2017 in größere Flächen wird schon aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll, da ein größeres Umsatzvolumen eine Struktur es zulässt, die eigenen Freunde wieder außerhalb des Restaurants zu sehen. „Jetzt nicht, jetzt nicht … und schon sind 3 Jahre um. Ich musste mich wieder an meine Freizeit gewöhnen”, lächelt Marc.
Die Nachhaltigkeit – ein
Luxusprodukt
Wir haben von Anfang an gesagt: Wir machen das Bio und setzen voll auf Nachhaltigkeit.” Die Nachhaltigkeit bei Momos ist ein langer Prozess. Marc und Martin nehmen sich jedes Detail vor, sie schaffen ein nachhaltiges Konzept, Stück für Stück. Momos ist 90 % vegan, 10 % vegetarisch. Die Entscheidung gegen Fleisch, ohne ganz vegan zu sein, ist eine bewusste: „Wir wollen eine Brücke bilden, keine Exklusivzone sein.”
„Während das Gesundheitssystem
auf Symptomen aufbaut,
steckt bei Lebensmitteln das Potenzial,
bei den Ursachen anzusetzen.”
Die beiden sind kompromisslos, auch gegen die Widerstände von Banken, die auf der persönlichen Ebene beim Thema leuchtende Augen bekommen, wenn es aber um eine Finanzierung geht, eine reine Profitorientierung bevorzugen. „Man muss schon dran glauben”, denkt Marc an die Verhandlungen zurück. Bio ist essentiell, da keine Pestizide in Obst und Gemüse sind. Dass der Kostendruck auch in der Lebensmittelproduktion nicht Halt macht und zu billigsten Chemikalien gegriffen wird, war dem Wirtschaftsstudenten Marc früh klar: Aber gut soll ein Produkt sein, das dabei rauskommt? Irgendwann setzt Marc die Puzzleteile zur Erkenntnis zusammen, dass es ein großes, strukturell bedingtes Problem gibt. Wir sind mittendrin und haben wenig Information. Ob man reine oder toxische Lebensmittel zu sich nimmt, hat aber langfristig Effekte hat auf den Körper, die Gesundheit. „Du bist, was Du isst. Die ganzen Allergien kommen nicht von ungefähr.” Die Herausforderung von Lebensmittelabfall löst das kleine, hausgemachte Produkt Dumpling selbst, da es die Gäste auf Grund der geschlossenen Form in der Regel einfach aufessen. Für den Ausnahmefall, dass sie es nicht tun, gibt es von Momos Doggy Bags. Neben Ökostrom, kompostierbarer Verpackung, Verzicht auf Plastik, umweltfreundlichen Reinigungsmitteln, Mitgliedschaft im foodwatch e.V. und Förderverein ökologischer Anbau, setzen sie den Fokus auf nachhaltig zufriedene Gäste und legen großen Wert auf einen positiven Umgang mit ihren Mitarbeitern. Faire Bezahlung, fixe Arbeits- und transparente Urlaubspläne, keine Überstunden, auf 22 Uhr begrenzte Öffnungszeiten – die Mitarbeiter sollen ein planbares Leben haben.
„Im Selbst-kreativ werden, Selbst-etwas schaffen ist implizit, dass man FÜR statt GEGEN etwas ist. Zum Beispiel als Veganer nicht gegen Fleisch, sondern für Tiere sein.”
Die Veränderung
startet mit deiner
persönlichen
Entscheidung
Da kommen sie auch, die Mitarbeiter, denn Momos öffnet gleich. Sie grüßen laut, gutgelaunt, natürlich. Marc grüßt lachend zurück. „Dennoch: Nachhaltigkeit ist ein Luxusprodukt. Der Gesetzgeber bevorzugt Nicht-Nachhaltigkeit.” Umso mehr hat Nachhaltigkeit etwas mit Bewusstsein zu tun. Schließlich stehen nachhaltige Produkte, deren Herstellung mit Mehrkosten verbunden sind, in Konkurrenzkampf mit Produkten, die nicht Bio sind.
„Veränderung startet nicht mit Gesetzen oder einer Co2-Einschränkung beim G20-Gipfel. Es startet mit deiner persönlichen Entscheidung.”
Marc definiert Selbstbewusstsein als „sich seiner selbst bewusst sein”. Nicht notwendigerweise als „selbstbewusste Haltung”. Er lebt nach dem Prinzip, sich selbst und seinen Nächsten Gutes zu tun. Er weiß, wenn es ihm gut geht, geht es auch den anderen gut. Wenn alle diesen Grundsatz verfolgen, wird es übergreifend.
Inspiration und Ruhe holt er sich aus der Natur, aus Waldspaziergängen, beim Segeln. Das kreative Schaffen hat einen besonderen Stellenwert für ihn: Zum Beispiel fährt er gerne Rad. Sein Fahrrad dafür hat er selbst gebaut. Wer sich auf den Weg der Kreativität macht, muss ganz klein beginnen, sich Zeit lassen, Geduld mitbringen. Zulassen, dass das Schöpferische auch etwas mit dir selbst tut. „Es hat auch lange gedauert, bis du so geworden bist, wie du bist.” Da muss man sich erst entleeren, um wieder aufnehmen und dann kreativ werden zu können. Das Selbst-kreativ-werden, das Selbst-schaffen impliziert für ihn, dass man für statt gegen etwas ist. So ist man als Veganer nicht gegen Fleisch, sondern für Tiere.
Marc ist glücklich, dass sein guter Freund Martin und er Momos so umsetzen konnten, wie sie es sich gewünscht haben. Die Spezialisierung auf ein Produkt gewährleistet die hohe Qualität und grenzt von anderen Konzepten ab. Gilt für ein erfolgreiches Restaurant statt der Weisheit „Lage, Lage, Lage” heute vielleicht eher „Lage, Produkt, Lage, Produkt”? In einem professionalisierten Markt bestehen nur die runden Konzepte. Das vermeintlich unscheinbare Produkt Dumpling erweist sich nicht nur in seiner Präsentation hoch ästhetisch, es ist auch praktisch für das Take-Away. Momos jedenfalls will weiter wachsen und hofft, dies ermutigt andere, diesen Weg einzuschlagen. 2019 wird Ausschau nach dem zweiten Restaurant in Berlin gehalten. Und der kreativ-kulinarische Weg fortgesetzt, mit dem Marc in der Chausseesur. 2 in Berlin Mitte bereits sehr zufrieden ist. Eine Situation, die er sich selbst geschaffen hat.
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28.02.2019
von Balázs Tarsoly
Momos, Chausseestraße 2, 10115 Berlin
www.momos-berlin.de
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MOMOS
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