IT DON’T MEAN A THING,
IF IT AIN’T GOT THAT SWING!
Swing Kitchen, vegane Burgerkette
Österreich, Deutschland, Schweiz
Es spielt, nicht leise, die Swing-Musik von Glenn Miller. Die Melodien von Posaune und Klavier vermischen sich mit dem Chit-Chat des Mittagspublikums. Der Raum ist selbst für Berliner Verhältnisse mit ungewöhnlich fröhlicher Stimmung gefüllt. Es sind da: Businessgäste, Touristen, Passanten. Sie essen Burger mit Pommes. Fast-Food-Atmosphäre herrscht hier nicht. Das Interieur ist zeitgemäß; die Holztäfelung an der Wand und das Licht aus den altweißen Industriehängelampen schaffen ein warmes Ambiente, sie brechen mit dem prägnanten Schwarz des Restaurant-Designs. Weiße Kacheln, weiße Holzhocker, weiße Hochtische. Das kontrastreiche Design gibt Halt, hält sich aber angenehm zurück. Es spielt jetzt Chicago von Benny Goodman. Vielleicht ist es die Musik, die den Gast vollständig aus dem Alltag löst. Der Laden ist voll, ohne dass man den Fokus verliert, sich auf sein Gegenüber zu konzentrieren. Nichts weist drauf hin, dass das Restaurant erst heute eröffnet hat. Der Service ist charmant, aber flink.
„Es sind die Firmen, die die Welt verändern“, sagt Charly Schillinger. „Die Politik ist dafür zu langsam und zu schwach”. Er sitzt mit aufrechtem Rücken an einem der hinteren Tische und hat Laden und Gäste im Blick. Charly ist ein Mann, der äußerlich mit einer gewissen Wucht daherkommt. Er ist nicht besonders groß, aber mächtig. Ironischerweise stellt man ihn sich gut in einer Metzgerei vor.
Swing Kitchen – die Vorhut einer Revolution? Ich beiße in meinen veganen Swing Burger. Er schmeckt ausgezeichnet. Gibt es ein Geheimrezept? Worauf kommt es überhaupt bei einem veganen Burgerladen an? Wie soll eine Burgerkette die Welt verändern?
„Ich hätte mich damals radikalisieren können. Ich war soweit, auch Personenschaden in Kauf zu nehmen.“ Wenn man sich die Masse an Mensch anschaut, nimmt man es ihm ab. Aber Charlys Augen funkeln belustigt, er spricht mit einem charmantem Wiener Akzent. Charly lächelt, erzählt von Genuss und Geschmack, von Tierrecht und der Welt von morgen. Aus den Erzählungen wird klar: Feige ist Charly nicht. Er ist zu intelligent für Gewalt. Charly ist ein Visionär, ein Mann auf Mission.
Die schicksalhafte Begegnung
„Swing Kitchen gibt es, weil meine Frau und ich Tierrechtler sind”, sagt Charly und schmunzelt: „Kennengelernt haben wir uns im Gefängnis”. Er nimmt einen Schluck Wasser und erinnert sich: 1995 waren beide Mitarbeiter der Tierrechtsorganisation VIER PFOTEN, die sich gegen Pelz und Massentierhaltung einsetzt. Begegnet sind sie sich erst bei der Pelzaufführung der ersten Wiener Modenacht. Als vier Frauen von VIER PFOTEN mit dem Transparent „Pelz ist Mord” auf die Bühne stürmten, war es Charlys Aufgabe, die Ordnungskräfte lang genug von der Bühne fernzuhalten, damit die Presse ihre Fotos machen kann. Es kam dann, wie es kommen musste: Die vier Frauen wurden verhaftet und auf die Wache gebracht. Der Zufall wollte es, dass Charly dem Security Chef zum Verwechseln ähnlich sah. Und so marschierte er wütend ins Polizeirevier. „Seid ihr wahnsinnig? Wenn die Presse mitbekommt, dass wir diese Frauen in U-Haft halten!”, brüllte er. Kurz darauf rauschten die vier Tierrechtlerinnen und Charly durch die Wiener Nacht. Eine der vier Frauen war Irene, heute Charlys Ehefrau. Sie verliebten sich in dieser Nacht.
„In 20 Jahren geht es richtig los
mit der veganen Revolution.
Wir sind nur die Pioniere.”
Wien, Ende der 90er Jahre. Charly verdient als Wertpapierspezialist sehr gut, Irene und er lassen es sich gut gehen. Irene ist Politikwissenschaftlerin, kommt aus einem naturwissenschaftlichen Haus, ihr Vater ein anerkannter Chemie-Professor. Fasziniert von der Idee, traditionelle Hausmannskost vegan neu zu interpretieren, experimentiert Irene mit Fleischersatz. Den Speisen nähert sie sich dabei ganz naturwissenschaftlich mit der Chemiker-Brille: Was macht eigentlich chemisch gesehen das Ei im Kuchenteig? Wie kann man den gleichen Effekt vegan erzielen? Sie ersetzt Zutat um Zutat, Speise um Speise mit pflanzlichen Naturprodukten.
Die beiden veranstalten in ihrem Freundeskreis vegane Gelage, zunächst in ihrem Apartment in Wien, später im geerbten Dorfgasthaus SCHILLINGER in Großmugl. Die Gelage werden immer größer, die Gäste unbekannter. So wird, was als Spaß begann, langsam zum Business – und macht die beiden 2003 zu veganen Wirten.
Mit dem Tod des Vaters, hatten Charly und seine Mutter 1987 die Leitung des Dorfgasthauses übernommen und bereits zu dieser Zeit die vegetarische, später vegane Ernährungsweise angenommen. Als bei einer Festanfrage wieder ein Schwein geschlachtet werden sollte, war der Familie klar, dass sie das nicht können und wollen. Statt unters Messer zu kommen, bekamen die Schweine des Gasthauses Freiland, Räume mit Borsten zum Rückenreiben und ein eigenes Badezimmer.
Inmitten eines idyllischen, traditionell fleischlastigen Umfeldes bieten Irene und Charly 100 % vegane Hausmannskost in ihrem Gasthaus, an. Es schmeckt, das Gasthaus Schillinger wird zur Attraktion. Das vegane Cordon Bleu wird zum All-Times-Bestseller, begeistert Gäste aus Wien, der Region und dem Ausland.
Aber Irene und Charly wollen mehr. Mehr Menschen erreichen und damit mehr Tiere retten.
Doch wie lässt sich eine vegane Küche, die Kreativität erfordert, auf hohem Niveau multiplizieren?
Irene und Charly denken ihre Küche neu, systematisieren Produkte und Abläufe und bereiten akribisch den Launch ihres ersten veganen Burgerrestaurants in Wien vor.
Drei Jahre braucht die Vorbereitung. Swing Kitchen eröffnet 2014 und ist sofort ein Publikumsliebling. Das Angebot: amerikanisch inspirierte Speisen in veganer Ausführung. Die Idee, den Mainstream zu erreichen, geht auf, weil Charly und Irene verstehen, dass Menschen nicht belehrt werden wollen. Gäste wollen, dass es schmeckt und eine gute Zeit haben, keinen erhobenen Zeigefinger. Irene und Charly legen großen Wert darauf, dass die Speisen lecker sind. Sie verzichten ganz bewusst darauf, den veganen Aspekt allzu sehr in den Vordergrund zu stellen. Statt Vegan Kitchen, eben Swing Kitchen. Der Name hat Methode. Irene und Charly fragten sich: Welche Musik stört niemanden? Nach vielen Tests war es Swing. Der Name “Swing” steht auch für Umschwung. 80 % der Gäste sind nicht vegan. Swing Kitchen steht für leckere Burger. Und ist dabei eine kompromisslos nachhaltige, vegane Restaurantkette.
Eine Kette, die expandiert. Mit zwei Eröffnungen in Berlin im Ende 2018 ist Swing Kitchen in Deutschland angekommen, eröffnet 2019 in der Schweiz, 2020 soll London folgen. „Wachstum ist für uns ein logischer Schritt. Nur durch Wachstum können wir viele Tiere retten.“, sagt Charly. „Sonst wäre ich an der Börse geblieben und würde Geld spenden.”
Irene und Charly installieren in den Läden einen Counter, der den Gästen die nachhaltige Wirkung einer veganen Ernährung verdeutlicht. Die geschonten Ressourcen können hier mit konkreten Zahlen verfolgt werden.
„Mit jedem pflanzlichen Swing Kitchen Patty werden 95 % Energie, 92 % Treibhausgase, 85 % Wasser und noch viele andere Ressourcen gegenüber eines Rindfleischpattys gespart.”
Auch als Gast hat man plötzlich das Gefühl Teil von etwas viel Größerem zu sein….
Der Counter treibt die beiden an. „Wir arbeiten sehr viel, schlafen wenig, arbeiten rund um die Uhr, machen keinen Urlaub”. Auf dem privaten Laptop werden nicht nur die geschonten Ressourcen, sondern auch die verschonten Tiere gezählt. „Tiere zu zählen wäre für das Restaurant zu progressiv.” Wenn wieder 10.000 Hühner gerettet wurden, knallen die Korken. Swing Kitchen kombiniert Ethik mit Unternehmertum. Und tritt damit für eine Welt ein, in der Profit und Ethik im Einklang sind.
Nachhaltigkeit hört bei Swing Kitchen nicht bei veganen Speisen auf. Alle Produkte stammen aus der EU. Swing Kitchen verfolgt eine strikte no plastic policy, alles ist recyclebar. Die Getränkeausgabe via Automaten erfolgt mit Einwegbechern aus Maisstärke, die sich nach Auseinandersetzung mit dem Thema ökologischer als Pfandflaschen erwiesen hatten. Im Interieur werden biozertifizierte Materialien verwendet. In Zukunft möchten die beiden Tierrechtsorganisationen und Anti-Plastik-Kampagnen unterstützen. Die Mitarbeiter werden überdurchschnittlich gut bezahlt, der Umgang miteinander ist freundschaftlich. Das spürt man, wenn man bei Eintritt begrüßt wird.
Fastforward, 2040. Charly sieht eine Zukunft, in der es schlicht keinen Sinn mehr macht, Fleisch zu essen. Und kann es logisch begründen: „In 20 Jahren werden wir alles kopieren und auf pflanzlicher Basis herstellen können. Dann geht es richtig los mit der veganen Revolution. Wir sind nur die Pioniere.” Noch seien die Herstellungskosten zu hoch. Doch Fleischersatzprodukte werden zukünftig viel günstiger zu produzieren sein, die Subventionen Fleischindustrie seitens der EU wird nicht mehr zu halten sein. Warum sollten wir zu Fleisch greifen, wenn das pflanzenbasierte Ersatzprodukt identisch ist in Geschmack und Konsistenz, dabei billiger, ethisch unbedenklich, umweltfreundlich und klimaschonend ist, dazu – weil cholesterinfrei – auch noch gesünder und insgesamt kalorienärmer ist und keine Side Effects hat? Auch wer nicht im Thema ist, kann hier einfach entscheiden.
„Das läuft jetzt in eine Richtung, die kann man nicht mehr umkehren.” ist sich Charly sicher und möchte den Menschen die Botschaft mitgeben: „Seid mutig, probiert viel aus – es wird immer leichter, auf Fleisch zu verzichten.”
Swing Kitchen – die Vorhut einer Revolution? Oder sind wir nicht eigentlich schon mittendrin? Wenn ja, dann kann man an einer Revolution mit Swing-Soundtrack nur Gefallen finden …
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28.02.2019
von Balázs Tarsoly
Georgenstraße 201, 10117 Berlin
Grünometer
Swing Kitchen
8 / 10