DIE STRENGE ZUR FREIHEIT 

KOPPS, Vegan local healthy food,
Berlin, Deutschland

„Ich bin selbst nicht vegan, das irritiert manche.” Noch ist das Kopps in Berlin Mitte leer, während wir uns an die lange Tischgruppe setzen, die prominent in die Mitte des Restaurants platziert wurde. Die vielen Spiegel an der Wand verleihen dem langgeschnittenen Raum eine fast unwirkliche Perspektive – in nicht unangenehmer Weise. Dass jedes Objekt, jedes Material und jede Farbe perfekt aufeinander abgestimmt sind, macht die Szene etwas surreal. Es fällt umso mehr auf, da wir zu zweit sind. Wir lösen uns aus diesem Gemälde, als Ilhami anfängt zu sprechen.

„Vegan sollte immer mit Nachhaltigkeit gekoppelt sein.” Und: „Ich will die Industrie hier raushaben.” Wir sind schnell beim Wesentlichen. Ursprünglich hat Ilhami Parties veranstaltet. Die Motivation zu einem veganen Restaurant entsprang aus seiner Haltung, dass die vorherrschende Wegwerf-Mentalität so nicht weitergehen kann. Die Idee hinter Kopps war somit von Beginn an, ein regionales, saisonales, veganes Speisenangebot in die Normalität zu führen und damit eine nachhaltige Lebensweise zu etablieren.

„Ich lehne die Industrie an sich ab.”

„Ich komme aus einem türkischen Haushalt. Da wurden zum Opferfest Schafe und Hühner geschlachtet. Und dann wurden sie auf dem Tisch zerlegt.” Ilhami ist einer von drei Geschwistern, die aus seiner Sicht alle traumatisiert aus dieser Erfahrung gekommen sind. In der veganen Küche schärft sich sein immer klareres Bewusstsein für die Achtung von Tieren und eine ablehnende Haltung der Tierindustrie gegenüber. Diese Ablehnung empfindet er genauso für die Agrarindustrie: „Ich lehne Industrie an sich ab. Man muss versuchen regional und saisonal zu arbeiten.“ Im familieneigenen Garten entwickelt Ilhami seine Faszination für Gemüse und sein Bewusstsein dafür, dass es einen Unterschied macht, woher Produkte stammen. Schon als Kind brennt sich der intensive Geschmack garteneigener Tomaten in seinem Gehirn fest. Er begreift: man muss keine Tiere schlachten, um sich gut zu ernähren. „Ich brauche jeden Tag meinen Salat, kann jeden Tag meine Gemüsesuppe essen. Ich bin mit ganz einfachen Gerichten glücklich.” Das Einfache, Ehrliche spricht Ilhami an.

“Warum muss ein Veganer mit einem Veganer zusammen sein?”

Ilhamis geschärfter Sinn für gerechte Zustände scheint stets sein natürlicher Antrieb zu sein. Er ist mit einer strengen Erziehung aufgewachsen und dem täglichen Lesen des Korans erzogen worden. Dazu die Schlachtung der Tiere. Schnell sind dem jungen Ilhami Religiösität und Ideologie zuwider. Als Türke in Deutschland landet er immer wieder in Schubladen, in denen er nicht sein will. Seine Eltern sind Arbeiter, türkische Migranten – Ilhami erlebt die Diskrimierung und Schwierigkeiten von Migranten hautnah mit. Er fühlt sich heimatlos, nirgends zugehörig. Ideen geht Ilhami von dem her nicht ideologisch an: „Mein Ziel ist es, das Vegane in die Normalität zu führen. Vereinnahmt werden will Ilhami nicht, von nichts und niemandem. Dies ist auch der Grund, dass er Fleisch nicht ganz aufgibt: „Ich bin für Freiheit. Für mehr Offenheit von allen und mehr Freiheit für jeden. Warum muss ein Veganer mit einem Veganer zusammen sein?”, fragt er. Bei aller Strenge, die seine Haltung vermeintlich zum Ausdruck bringt, erkennt man die Milde in seinem Blick. Seine Mission ist auf dem Tisch, das befreit.

„Wer hat denn schon mal eine dieser Tierfarmen ohne Fenster, wo die Tiere zusammengepfercht stehen, von innen gesehen?”

Mit seinem Mit seinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn versteht Ilhami durchaus, dass es schwer sein kann, eine klare Haltung und Handlung zu entwickeln. Dabei geht es Ilhami nicht nur um die Tierindustrie, sondern um die Industrie an sich. Im Grunde geht es Ilhami um nichts weniger als Gerechtigkeit in der Welt. Beim Einkauf schaut er ganz genau auf die Etiketten, sortiert Produkte aus, die nicht seinen Kriterien an Qualität und Herkunft entsprechen. Ilhami will keine Firmen unterstützen, die keine nachhaltigen Produkte anbieten. Beim Italiener schickt er das San Pellegrino zurück, weil das Produkt zu Nestle gehört. Er ist sich dessen bewusst, dass er mit jedem Kauf eine Entscheidung trifft. Jeder Kauf ist ein politisches Statement. Vor allem gibt er nicht klein bei, wenn er hört ‚ „ Es ändert doch ohnehin nichts!“, „Doch, es ändert was! Es ändert was, wenn Du darauf achtest, was Du kaufst. Ich bin streng mit mir und streng mit anderen. Da wird dann diskutiert.” Ilhami lächelt nicht. „Man muss versuchen regional und saisonal zu arbeiten. Man sieht, dass es Veränderung gibt.“ Ilhami engagiert sich auch politisch, gründet eine Partei mit, ist dort der Schatzmeister. Es geht ihm um Mitbestimmung, auch untereinander. Und es geht darum, Dingen auf den Grund zu gehen, zu verstehen, immer bessere, nachhaltigere Lösungen zu finden. Auch in der Gastronomie.

“Kontrollieren, kontrollieren, kontrollieren… Nachbessern, nachbessern, nachbessern…

DGS-Kopps-Interview_3

Das Kopps entstand 2011, den Namen hat es vom Koppenplatz, auf den das Restaurant schaut.  Zu dem Zeitpunkt war Veganismus in der Gastronomie noch kein Thema, das Kopps war das dritte vegane Restaurant in Berlin überhaupt. Unvorstellbar, dass das erst acht Jahre her ist. Da schrieb keiner “Berlin – the vegan capital”. Gegründet hat Ilhami das Kopps gemeinsam mit Björn Moschinski, einem veganen Koch. Bald wird jedoch klar, dass die unterschiedliche Vorstellung der veganen Küche zu getrennten Wegen führt: Während Björn die fleischlose Variante der typischen Hausmannskost verfolgt, sieht Ilhami im Veganen vielmehr das Potenzial der feinen Küche des Gemüses.

Top Lage, top Personal, top Zutaten. Und dabei Preise – etwas gehoben, aber in keinster Weise abgehoben. So navigiert das Kopps jahrelang am finanziellen Ruins entlang. Dass da etwas nicht zusammen passt, fällt auch Restauranttester und TV-Koch Christian Rach auf. Als sich das Kopps in die Top 10  seiner TV-Show qualifizierte, wirft Rach mit seinem Besuch einen Blick in die Karte und einen fragenden Blick auf Ilhami. Wieder einen Blick in die Karte, wieder auf Ilhami: „Wie machen Sie das bloß? Dass Sie Ihren Strom, Ihre Leute bezahlen…?“ Herausfordernd bleiben die Preise, gerade beim Brunch, bei dem die Gäste selbst ihre Portionen definieren. Und als Kopps die Lunchpreise mittags von 6,50 EUR auf 7,50 EUR erhöht, gibt es einen Umsatzeinbruch von 20 Prozent. Dennoch: Die Zeiten, in denen er jeden Euro zwei Mal umdrehen musste, sind zum Glück vorbei. Für Ilhami bleibt bei aller harter Arbeit immer ein schöner Augenblick, wenn er mit Leuten ins Gespräch kommt und diese glücklich sind. Das treibt ihn an, das bringt ihn auf neue Ideen.

Ilhami ist bekannt dafür, dass er die Mülleimer kontrolliert, dass einfach nichts weggeschmissen wird, was verwertet werden könnte. Ilhami lächelt: “Kontrollieren, kontrollieren, kontrollieren… Nachbessern, nachbessern, nachbessern…” Natürlich achtet das Team sehr auf Lebensmittelverschwendung. Die richtigen Portionen helfen, aber auch sonst verwertet das Team alles, was verwertbar ist und arbeitet mit „To good to go“ zusammen. Das Kopps arbeitet mit Ökostrom und Ökogas, das Restaurant verwendet keine Strohhalme mehr, das Wasser wird gefiltert und dann zum Kochen verwendet; biologisch abbaubar sind alle To-Go-Teller wie auch die Chemie für Gesprirspülmaschine. Die Weine im Kopps kommen zu 90 % aus Deutschland, die meisten sind bio bzw. bio-dynamisch. Produkte, die Glyphosat enthalten, haben bei Ilhami keine Chance. Manch ein Hersteller hat seine Produktion auf Grund seines Drucks optimiert. Er stößt natürlich auch immer wieder an seine Grenzen: „Wir könnten ganz viel einwecken, doch dafür haben wir einfach nicht den Platz.” Etwa 50 % der Zutaten kommen von bio-zertifizierten Händlern. Der Küchenchef hat seinen eigenen Kräutergarten und geht mit den Azubis Kräuter sammeln. Das Kopps bildet seinen eigenen Nachwuchs aus, der aktuelle ist bei den Azubimeisterschaften Dritter geworden. Das macht Ilhami stolz. Und er plant konstant die nächsten Schritte: Bei den Spirituosen weg von den englischen und amerikanischen Produkten. Bei den Gemüsedesserts komplett auf Zucker verzichten. Und er möchte die Zusammenarbeit mit behinderten Menschen wieder aufnehmen.

“Wenn Fleischersatzprodukte containerweise eingekarrt werden, wenn auf dem veganen Streetfoodmarkt Gerichte in Plastiktellern angeboten werden, dann ist das nicht nachhaltig.”

“Wir wollten beweisen, dass die Vorstellung, Vegan habe nichts mit Genuss zu tun, falsch ist.

„Vegan ist nicht immer nachhaltig.” Ilhami will nicht nur im Geschmack innovativ sein und nur neue Speisen erfinden. Er will kreativ sein in der Nachhaltigkeit. Im Team wird die Nachhaltigkeit stark gelebt, sich immer wieder gegenseitig herausgefordert, was besser gemacht werden kann.

Unsere Leistung ist, dass wir mit wenigen Mitteln, saisonalen und regionalen Zutaten, kreativ arbeiten. Wir möchten Geschmackserlebnisse anbieten, die man woanders nicht bekommt.” Ilhami begeistert die Herausforderung, Speisen nicht nur vegan neu zu interpretieren, sondern von Grund auf zu erfinden. Es trifft sich gut, dass er sich schnell langweilt und stets auf der Suche nach Neuem ist. Die Köche des Kopps kommen aus der gehobenen Gastronomie, teils aus der Sternegastronomie. Das Team kanalisiert dieses Know How in vegane Kreationen.

Er wird unruhig. Neben dem Kopps hat er schon weitere vegane Konzepte in der Schublade. Sie warten darauf, verwirklicht zu werden. Beim Gedanken an vegane Macarons gerät er ins Träumen … Ilhami fängt sich aber schnell  wieder. Er weiß, dass es ein Weg dahin aus vielen kleinen Schritten besteht. Es fängt mit den kleinsten Sachen im Alltag an. Ob man sich eine Coke oder eine Charity Cola kauft. Ilhamis Ziel war es von Anfang an, dass auch Nicht-Veganer ins Kopps kommen. Normalität schaffen. “Wir wollten beweisen, dass die Vorstellung, Vegan habe nichts mit Genuss zu tun, falsch ist. Und ich glaube, das haben wir geschafft.“

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10.07.2019
von Balázs Tarsoly

 

Kopps, Linienstraße 94, 10115 Berlin
www.kopps-berlin.de

Grünometer

KOPPS

8 / 10

Vegane Gerichte

Großer Anteil an Bioprodukten

Vermeidung von Lebensmittelverschwendung

Verwendung von Verpackungen aus kompostierbaren Rohstoffen

Aufbereitetes Leitungswasser, Viva con Agua

Verwendung von Öko-Strom

Faire Arbeitsbedingungen und Partnerschaften

Verwendung von fair gehandelten Produkten

Mitglied der Greentable Initiative, Förderer von foodwatch und der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg e.V.(FÖL)

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